Es ist immer eine gute Idee, auf die Natur zu achten.

Das ist sicherlich auch bei der Kälberfütterung angebracht. Aus ökonomischen Gründen trennen wir die Kälber von der Kuh und füttern sie mit „unnatürlichen“ Nuckeleimern oder am Tränkeautomaten. Dieses Verfahren wird von den Verbrauchern oft kritisiert. Zu Recht?

Wenn man die Milchaufnahme an der Mutter und das künstliche Tränken vergleicht, werden die Unterschiede zur Natur sichtbar:
Saugen am EuterTränken am Eimer bzw. am Tränkeautomaten (TA)
Milchmenge pro Tag6 – 10 Liter6 – 12 Liter
Trinkbesuche pro Tag6 – 102 (Eimer), 4 – 6 (TA)
Menge pro Besuchca. 1 Liter3 – 5 Liter (Eimer), 2 – 3 Liter (TA)
Trinkgeschwindigkeitca. 200 ml/min700 – 1.000 ml/min
Tägliche Zunahme> 1.000 g500 – 1.000 g
Gesundheiti.d.R. gute Gesundheit, kaum Besaugen.Häufig Durchfälle und Atemwegserkrankungen. Oft Besaugen in Gruppenhaltung.
* Eigene Beobachtungen und Annabell Beaver et al 2019 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7094284/

Auch wenn weitere Faktoren diese beiden Systeme beeinflussen (Haltungssystem, Vollmilch oder MAT-Tränke, Kraftfutterfütterung etc.), liegt der größte Unterschied trotz allem in der Trinkgeschwindigkeit und der Häufigkeit des Trinkens!

Am Euter muss das Kalb intensiv saugen. Das Euterstoßen sorgt für die Oxytocinausschüttung der Kuh und somit für die Milchfreigabe. Doch ohne ein aktives Saugen würde das Kalb keine Milch aus dem Euter erhalten.

Tränkeautomaten oder Nuckeleimer haben oft ein Rückschlagventil. Über einen sehr langen Nuckel (bis zu 10 cm – Kuhzitzen sind oft nur 5 bis 6 cm lang) kann das Kalb sowohl durch Saugen als auch durch Zusammendrücken des Nuckels Milch aufnehmen. Das Nuckelquetschen sorgt für ein starkes Ausschießen der Milch ins Maul. Oft kann man dann bei Kälbern beobachten, dass sie das Trinken unterbrechen oder sich gar verschlucken.

Verschlucken beim schnellen Saufen

Bessere Verdaulichkeit

In Neuseeland sind kurze, schwergängige Nuckel sehr populär. Diese Nuckel sollen die Trinkgeschwindigkeit reduzieren und funktionieren ohne Rückschlagventil. Das heißt, wenn das Kalb lediglich auf den Nuckel drückt, presst es die Milch in den Eimer zurück. Um Milch zu bekommen, muss es also aktiv saugen.

Dieses Saugen ist schwer für die Kälber. Sie trinken langsamer und müssen für ihre Milch härter arbeiten. Automatisch stellt sich ein intensiver Speichelfluss ein. Dieser Speichel ist außen gut zu erkennen, doch den meisten Speichel schlucken die Kälber mit der Milch ab.

Der Speichel hat verschiedene Vorteile für die Verdauung der Milch und die Gesundheit der Kälber:

  • Er enthält Lactoferrin-Lactoperoxidase, ein keimhemmendes Enzymsystem, das die Immunität der Kälber stärkt.
  • Mit seinem hohen pH-Wert puffert der Speichel den sauren Labmageninhalt ab. Die Milch kann im Labmagen, begünstigt durch die langsame Milchaufnahme, langsam gerinnen.
  • Außerdem unterstützen Enzyme im Speichel die Fettverdauung und zerlegen Laktose in die leicht verwertbaren Einfachzucker Glucose und Galactose.
Gut geronnenes Casein

Versuche von R. McInnes et al. (2015) haben gezeigt, dass bereits kurze Zeit nach der Milchaufnahme große Mengen der Laktose im Labmagen aufgespalten waren, wenn die Kälber an schwergängigen Nuckeln langsam getrunken und dabei viel Speichel produziert hatten. Im Labmagen wurde auch eine sehr feine Struktur des geronnenen Caseins festgestellt.

Bilder bereitgestellt durch Fa. MilkBar
Bilder bereitgestellt durch Fa. MilkBar

Im gleichen Versuch wurde festgestellt, dass nach dem Tränken mit leichtgängigen Nuckeln die geronnene Milch im Labmagen der Kälber große, schwerverdauliche Klumpen bildete.

Die genannten Punkte können eine Erklärung dafür sein, dass bei Kälbern an schwergängigen Nuckeln tendenziell höhere Gewichtszunahmen festzustellen sind, denn Milchzucker und Eiweiße werden besser verdaut. Zwar fehlt hier noch der finale wissenschaftliche Beweis, doch viele Praxiserfahrungen deuten ebenfalls auf eine höhere Verdaulichkeit der Milch hin.

Gesündere Kälber

Der Zwang zum Saugen und damit zum langsameren Trinken sowie eine natürliche Trinkhaltung der Kälber fördern die Ausbildung der Schlundrinne. Dies verringert das Risiko des Pansentrinkens. Bei Kälbern, die große Mengen Milch in kurzer Zeit trinken, besteht außerdem die Gefahr, dass ungeronnene Milch vom Labmagen in den Darm gelangt und dort zu einer massenhaften Vermehrung schädlicher Bakterien führt. Das langsame Trinken an schwergängigen Nuckeln unterstützt hingegen die Verdauung und führt zu weniger ernährungsbedingten Durchfällen, besonders bei jungen Kälbern.

Weniger Besaugen

Ein interessanter Aspekt ist auch die Beobachtung, dass Kälber an schwergängigen Nuckeln weniger Probleme mit gegenseitigem Besaugen zeigen. Die Trinkgeschwindigkeit beträgt nur die Hälfte bis zu einem Drittel der Geschwindigkeit an herkömmlichen Nuckeln mit Rückschlagventil. Das heißt, die Tränkeaufnahme dauert zwei- bis dreimal so lange.

Trinkgeschwindigkeiten, am Tränkeautomaten mit Lochnuckel gemessen (am Tränkeeimer sind die Geschwindigkeiten mit herkömmlichen Nuckeln noch deutlich höher)

Ein weiterer Vorteil des längeren Trinkens besteht darin, dass die Hormone, die den Saugtrieb des Kalbes steuern, nach einiger Zeit abnehmen. D. B. Haley et al. („Effects of Resistance to Milk Flow and the Provision of Hay on Nonnutritive Sucking by Dairy Calves“, 1998) fanden durch Versuche mit vier verschiedenen Nuckellochgrößen heraus, dass die Tränkedauer besonders beim kleinsten Nuckelloch deutlich erhöht war.

Im Anschluss an die Milchmahlzeit saugten diese Kälber signifikant weniger an Stalleinrichtungen oder anderen Kälbern. Die Kälber, die schneller mit dem Trinken fertig waren, verbrachten die gleiche Zeitspanne, die sie vorab mit Trinken verbracht hatten, nochmals mit dem Saugen am leeren Nuckel, an der Stalleinrichtung und an anderen Kälbern.

Ross McInnes et al. erzielten 2015 ähnliche Ergebnisse. In der Kälbergruppe mit dem schwergängigen Nuckel hatten alle Tiere intakte und unverletzte Zitzen, während die schnell trinkenden Kälber zum gegenseitigen Besaugen neigten. Dabei wurden sogar die kleinen Zitzen beschädigt und der Keratin-Propf entfernt, der sie normalerweise verschließt. Das Euter war hierdurch ungeschützt vor dem Eindringen von Keimen auf diesem Weg, was zu Entzündungsprozessen bei Färsen führen kann.

Die Masterarbeit von Beke Ostendorf (2019) „Einfluss zweier unterschiedlicher Kälbernuckel auf die Tränkeaufnahme bei Kälbern“ kommt zum gleichen Ergebnis. Sie berichtet, dass sich die Kälber am langsamen Nuckel sehr bald nach der abgeschlossenen Tränke im Stroh ablegten, um sich auszuruhen.

Weniger Konkurrenzdruck

Beke Ostendorf nennt den langsamen Nuckel auch den gerechten Nuckel. Er sorgt in einer Kälbergruppe dafür, dass die Kälber alle ähnlich lange trinken. Einzelne Kälber haben einen geringeren Vorsprung bei der Tränke als bei den schnellen Nuckeln. Das ist besonders bei den großen Gruppeneimern von Vorteil, wenn sich zum Beispiel 6 Kälber eine Menge von 30 Litern Milch teilen müssen. Milchklau ist somit bei diesen Tränkesystemen kein bedeutendes Problem.

Die richtige Nuckelposition

Die Ausbildung des Schlundrinnenreflexes wird nicht nur durch die Nuckelform und -härte gefördert, sondern auch durch Nuckelpositionierung.

Horizontal angebrachte Nuckel entsprechen nicht dem Vorbild der Zitze am Euter, die ja nach unten hängt. Beim Trinken am Euter zieht das Kalb die Zitze leicht zur Seite. Sie hat aber trotzdem noch eine Richtung nach schräg unten. An modernen Tränkeautomaten, wie dem CalfExpert von Holm & Laue, zeigen die Nuckel in der HygieneStation mit einem Winkel von 45° nach unten. Dadurch nehmen die Kälber automatisch eine natürliche Saufhaltung mit einem lang durchgestreckten Hals ein.

Ein weiterer Aspekt ist die Nuckelhöhe. Bisher wurde häufig eine Nuckelhöhe von 70 – 80 cm empfohlen. Neue Praxiserfahrungen zeigen aber, dass eine Nuckelhöhe von nur 60 – 65 cm besser wäre, weil das der normalen Euterhöhe näherkommt. Die Kälber zeigen bei dieser Höhe einen noch intensiveren Trinkhals.

Hohe Tränkefrequenz

Hohe Milchmengen von über 10 l am Tag, wie sie heute empfohlen werden, lassen sich nur umsetzen, wenn Kälber mehr als 2 Mahlzeiten pro Tag bekommen.

Wenn Kälber große Mengen an Milch in nur wenigen Mahlzeiten aufnehmen, kommt es zu extremen pH-Schwankungen im Labmagen (Ahmed et al., 2002), die zu Magengeschwüren (zu saures Milieu, das heißt, lange Zeit unter pH 3) und unzureichender Gerinnung der Milch (zu alkalisches Milieu, das heißt, zu lange Zeit über pH 5,5) führen können.

Die Fütterung am Tränkeautomaten ist die einzige Alternative, um Kälber möglichst naturnah aufzuziehen. Mehrere Mahlzeiten am Tag mit jeweils 2, maximal 3 l, haben sich als ideal herausgestellt.

Kritik aus der Praxis

Trotz aller Vorteile langsamen Saugens bevorzugen viele Landwirte leichtgängige Nuckel aus Silikon oder sie schneiden die Nuckelöffnung noch etwas weiter auf. Der Grund ist das einfachere Anlernen junger Kälber, die leichter Milch erhalten, egal ob sie nun saugen oder drücken. Was aus arbeitswirtschaftlicher Sicht verständlich ist, erweist sich anhand des oben beschriebenen besseren Tierwohls der Kälber als bedenklich.

Hersteller der schwergängigen Nuckel, wie zum Beispiel die Firma Milkbar, bieten zum Zweck des einfacheren Anlernens leichtgängigere Starternuckel an.

Fazit

Es lohnt sich auch bei der Kälberfütterung, auf die Natur zu achten. Neben tiergerechten Tränkemengen von mehr als 10 l pro Tag ist die Art der Milchaufnahme wichtig. Erstens sorgen schwergängige Nuckel für eine gute Speichelbildung, die die Verdauung unterstützt. Zweitens neigen die Kälber durch das lange und anstrengende Trinken weniger zum Besaugen. Und drittens ist eine häufige Milchtränke mit kleinen Portionen ideal für die Verdauung der Kälber.

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